Arbeiten von Thomas Went
Ausstellungseröffnung am 9.Juni 2018

Laudatio: Prof. Dr. Wendelin Szalai

Liebe Mitglieder und liebe Freunde des Ost-West-Forum Gut Gödelitz,
sehr geehrter Herr Richter,
meine Damen und Herren,

im Namen des Vorstandes unseres Bürgervereins heiße ich Sie alle herzlich willkommen zu einer neuen Veranstaltung in unserer monatlichen Samstagabendreihe.

Zunächst eröffnen wir mit einem kleinen Vorprogramm eine neue Kunstausstellung.
Es ist unsere 44.
Ihr Thema lautet
„Sehen und Erinnern – Fotos werden Bilder“.

Von unseren bisherigen Kunstausstellungen wissen wir, dass nicht nur die Bilder selbst, sondern auch die Bildtitel und sogar das Thema einer Ausstellung bei uns Betrachtern ganz unterschiedliche Gedanken, Fragen, Erinnerungen und Erwartungen auslösen können.

Jeder Begriff im Thema unserer neuen Ausstellung „Sehen und Erinnern – Fotos werden Bilder.“ spricht mich an, berührt mich, sowohl rational wie emotional. Vielleicht hat das mit meinem Alter und meinen Lebenserfahrungen zu tun, aber sicher auch mit meinem besorgten Blick auf aktuelle Entwicklungen in unserem Land, in Europa und in der Welt.

Lassen Sie mich meine Gedanken und Fragen kurz andeuten.

Das Wort „Sehen“:
Wir leben in einer Mediengesellschaft und sind täglich einer anschwellenden und schnellen Flut von Bildern und Zeichen  ausgesetzt. Wie wirkt sich das auf unser Sehen aus, auf das Sehen-können und auf das Sehen-wollen? Können wir den Bildern und Zeichen trauen? Zeigen sie uns Wahres, Wesentliches oder täuschen Sie uns? Manipulieren sie uns? Wie kann man so etwas erkennen?Wie kann man sich davor schützen?

Der Begriff „Erinnern“:
Wovon hängt es ab, woran wir uns erinnern und wie wir uns daran erinnern? Warum sind die Erinnerungen unterschiedlicher Leute an dieselben Ereignisse, Zustände und Personen oft so ganz unterschiedlich? Wie kann man bei der Begegnung mit anderen Leuten deren Erinnerungen berücksichtigen und ernst nehmen? Welche Rolle spielt dabei ein verstehenswilliges Zuhören und ein vorurteilsfreies Gespräch?
Wie objektiv ist denn die Geschichte als erinnerte Vergangenheit?

Welche Gefahr liegt in der Zunahme von Geschichtsvergessenheit einerseits und von Geschichtsverfälschung andererseits?

Die Aussage „Fotos werden Bilder“ erinnert mich und vielleicht auch einige unserer Stammbesucher an zwei – zehn und acht Jahre zurückliegende – Kunstausstellungen mit Arbeiten desselben Künstlers. Der hatte seinen spezifischen Schaffensprozess, seine spezifische Arbeitstechnik, DIGITART genannt.
Dieses Wort ist Programm. Es bedeutet:  Digital werden aus Fotografien Bilder, digital wird Kunst geschaffen. Dieser künstlerische Schaffensprozess besteht aus zwei Etappen, aus dem Fotografieren und aus der Fotobearbeitung am Computer.

Dem Schöpfer von DIGITART begegnen wir in unserer 44. Ausstellung erneut.
Es ist Thomas Went. Er und seine Frau sind Stammbesucher unserer Veranstaltungen.

Die Idee zu einer sonst ungewöhnlichen dritten Ausstellung desselben Künstlers hat gute Gründe:

  1. Wir zeigen Arbeiten eines unserer Stammbesucher, eines „Gödelitzers“.
  2. Sich erinnernd und vergleichend kann manan den drei Ausstellungen ablesen, wie über die Jahre hin das künstlerische Schaffen von Thomas Went vielfältiger und reifer geworden ist. Seine spezielle Arbeitstechnik DIGITART hat er beibehalten, aber weiter entwickelt. Das Abstrahieren wird stärker, die Beschränkung auf Wesentliches nimmt zu.
  3. Thomas Went ist an Parkinson erkrankt. Er nutzt mit viel Energie und Kraftseine sich weiterverschlechternden Arbeitsmöglichkeiten dafür, phantasievoll Neues, Anspruchsvolles zu schaffen. Ich bewundere diese Haltung, diese menschliche Größe. Sie kann Mut machen.Vielleicht ist auch für  manche von Ihnen eine solche Ermutigung wichtig.

Seine Frau und enge Freunde, Herr und Frau Kießling, haben ihm beim Hängen der Bilder geholfen. Vielen Dank allen.

Und nun möchte ich Thomas Went ganz herzlich in unserer Mitte begrüßen.

Für die Neuen unter Ihnen – und als Erinnerung für die Stammbesucher –eine Kurzbiografie von Thomas Went:

  • 1946 in Dresden geboren.
  • Lehre als Dekorationsmaler und Qualifizierung zum Malermeister.
  • Zunächst Studium an der Fachschule für Angewandte Kunst in Berlin
  • Dann Studium in der Fachrichtung angewandte Malerei in Potsdam.
  • Danach Studium  an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar
  • Abschluss als Dipl.-Ing. Architekt.
  • Seit 1993 Freiberuflicher Architekt.

Worin besteht nun DIGITART?
Alles beginnt mit dem Fotografieren.

Genauer: Alles beginnt mit dem Sehen. Der Künstler lässt eine Landschaft, eine Blume, ein Bauwerk auf sich wirken. Er spürt seinem ganz subjektiven Eindruck nach.Dann wird überlegt, was davon aufgenommen werden soll und wie es aufgenommen werden soll. Da wird gedanklich gesucht, probiert, verglichen, ausgewählt, verworfen. Und erst dann fällt die Entscheidung, wird die Kamera ausgepackt und auf den Auslöser gedrückt.

Fotografieren als Kunst braucht Zeit. Knipsen geht natürlich schneller.
Fotografieren als Kunst braucht das Sehen-Wollen und als Sehen-Können.
Ein geflügeltes Wort trifft es genau:
„Sehvermögen ist eine Fähigkeit, Sehen ist eine Kunst.“
Johann  Wolfgang von Goethe hat es poetischer gesagt:
„Freund, weil du die Augen offen hast, glaubst du, du siehst.“

Sehen als Kunst ist wie alle Kunst subjektiv.
Fotografieren als Kunst ist wie alle Kunst subjektiv.
Zwei Betrachter, zwei Künstler werden dieselbe Landschaft unterschiedlich sehen und unterschiedlich darstellen.

Was aber hat das Fotografieren mit dem Erinnern zu tun?
Hier die Antworten zweier weltbekannter Fotografen:
Der 2004 verstorbene Amerikaner Richard Avedon drückt es so aus.:
„Ohne Fotografie ist der Moment für immer verloren, als ob es ihn nie gegeben hätte.“
Der 2002 verstorbene Mexikaner Manuel Àlvarez Bravo sagt es noch kürzer:
„Ich gebe dem Moment Dauer.“

Also:
Ein Foto hält einen Istzustand fest.
Mit einem Foto wird dieser vor dem Vergessen bewahrt.
Das Foto bewahrt ihn in der Erinnerung.

Kommen wir nun zum zweiten Teil im künstlerischen Schaffensprozess von Thomas Went.

Arbeitsplatz ist jetzt der Computer. Die Kamera wird nicht mehr benötigt.
Das digitale Foto wird bearbeitet.
Konturen, Farben, Kontraste, Hell und Dunkel können je nach künstlerischer Absicht verändert werden.

Abstrahieren ist angesagt. Also absehen vom Unwesentlichen und Betonung des Wesentlichen.
Aber mit dem Erkennen des Wesens hat es so seine Schwierigkeit.
Auf diese hat bereits um 500 v. Chr. der griechische Philosoph Heraklit so hingewiesen:
„Das Wesen der Dinge hat die Angewohnheit sich zu verbergen.“

Das Aufdecken und Sichtbarmachen des Wesentlichen  ist ein komplexer schöpferischer Vorgang aus Suchen, Probieren, Verwerfen und Entscheiden.

Thomas Went hat mir bei einem Ateliergespräch darüber folgendes gesagt:
„Ich empfinde bei der Bildbearbeitung am Computer meist mehr als im Moment des Fotografierens. Durch Abstrahieren sehe ich von den Beliebigkeiten des Fotografierens ab.
Ich mache das Wesen des Gesehenen sichtbar.
Dabei denke ich nicht an die späteren Betrachter meiner Bilder.
Ich drücke mein Sehen, Fühlen und Erinnern aus.
Ich will keine Botschaft übermitteln.
Aber meine Bilder sollen  bei den Betrachtern „ankommen“, diese zum Dialog anregen, zum Dialog mit meinen Bildern ebenso wie zum Dialog untereinander.
Aufmerksames Sehen ist dabei wie das Zuhören eine Voraussetzung für den Dialog.
Die Betrachter werden so zu ihrem je eigenen tieferen Sehen, Fühlen und Erinnern kommen.“

Mit den durch Bearbeitung von Fotos gewonnen Bildern erinnert Thomas Went an seine jeweils ersten, ursprünglichen, überwältigenden Eindrücke beim Sehen.

  • Das kann die graublaue Farbstimmung über einer flachen Landschaft sein.
  • Das kann eine interessante Konturlinie zwischen Erde und Himmel sein.
  • Das kann die im Nebel schemenhaft sichtbare Stadtsilhouette eines bekannten Ortes sein.
  • Das kann das ganz besondere Gelb einer Blume bei trübem Wetter sein.
  • Das kann der für den Künstler typische Gesichtsausdruck eines von ihm geschätzten Menschen sein.

Bild für Bild sucht, probiert und abstrahiert Thomas Wentsolange, bis er für einen wesentlichen Eindruck den jeweils treffenden Ausdruck gefunden hat. Mit diesem erinnert er an den früheren, den vergangenen Eindruck.
Er verleiht ihm so Dauer.

Bei den Architekturaufnahmen dieser Ausstellung, der Bilderserie zur Busmannkapelle, bekommt für mich das Erinnern eine besondere Qualität, einen direkten Bezug, eine unmittelbare Aktualität. Mein Dialog mit diesen Bildern ist ein besonders intensiver.

Bei der Busmannkapelle handelt es sich um eine um 1400 an die Dresdener gotische Sophienkirche angebaute Seitenkapelle. Im Feuersturm vom 13. Februar 1945 ist die Kirche ausgebrannt und ausgeglüht. Die Ruine wurde 1962-1963 abgebrochen. Seit einigen Jahren wird mit breiter Spendenhilfe aus Resten der Busmannkapelle ein Erinnerungs- und Mahnort gestaltet.

In einem Bild dieser Serie montiert Thomas Went in den derzeitigen Zustand dieses Erinnerungsortes die beiden Türme der früheren Sophienkirche hinein, einen davon als Ruine. Die Bildmontage verstärkt die Erinnerung, verstärkt die Wirkung.
Für mich ist das ein Antikriegsbild.
Die Technik der Fotomontage macht so etwas möglich. Aber auch diese Technik kann neben Segen auch zum Fluch werden. Politisch motivierte Bildfälschungen gab und gibt es leider immer wieder.

Als altem Geschichtslehrer und politisch interessiertem Menschen gehen mir bei den Erinnerungs- und Mahnbildern von der Busmannkapellesehr viele und sehr besorgte Gedanken durch den Kopf.
Ich denke daran, wie es in den letzten 100 Jahren zu Kriegen gekommen ist.
Ich erinnere mich, wie dafür fast unbemerkt eine Stimmung aus übersteigertem Nationalismus, aus ethnischer, religiöser, politischer Ausgrenzung,  Freund-Feind-Denken, Hass und Hetzeherangereift war .
Ich denke daran, wie relativ kleine Vorfälle – tatsächliche oder erfundene – die so vorbereiteten Kriege ausgelöst haben.
Beim ersten Weltkrieg war es der Mord Sarajewo.
Beim zweiten Weltkrieg wurde die Lüge vom polnischen Überfall auf den Sender Gleiwitzzum Auslöser.
Die Intervention der USA, Großbritanniens und einer „Koalition der Willigen“ in den Irak im Jahr 2003 wurde mit gefälschten Beweisen gerechtfertigt.
Deutschland hatte sich an dieser Intervention nicht beteiligt. Gott sei Dank!

Heute beteiligt sich Deutschland an Aktionen gegen Russland wegen einer Giftmordanschuldigung, für die es keinerlei Beweise gibt, nicht einmal gefälschte.
Schämt sich denn kein verantwortlicher deutscher Politiker dafür, dass heute wieder deutsche Soldaten auf Gebieten stehen, auf denen in meiner Kindheit schon einmal welche gestanden haben – in einem von Deutschland verursachten Krieg, der Russland die größten Menschenopfer und Zerstörungen gekostet hat?
Am diesjährigen 8. Mai gab es weder im Fernsehen noch in der Sächsischen Zeitung einen Beitrag über das Ende eines schrecklichen Weltkrieges, der von Deutschland verursacht und ausgelöst worden war. Richard von Weizsäcker, ein CDU-Politiker, hatte am 8. Mai 1985 von einem Tag des Nachdenkens und Besinnens und von einem Tag der Befreiung gesprochen. Wie ganz anders ist die Sprache unseres derzeitigen Außenministers, eines SPD-Politikers! Er sollte sich vielleicht über die Politik Bismarcks gegenüber Rußland informieren. Und er sollte sich unbedingt an die erfolgreiche Außenpolitik von Willi Brandt und Egon Bahr, auch SPD-Politiker,  erinnern. Wenn man in Rußland etwas „wandeln“ will, dann geht das nur über „Annäherung“. Wer dagegen eine Drohpolitik betreibt, hat weder vom kulturellen Gedächtnis Rußlands noch von der „russischen Seele“ etwas verstanden. Wollen denn heute in Deutschland Politik und Medien eine antirussische Stimmung, ein neues Feindbild Russland? Wie kann man nur so geschichtsvergessen sein?

Liebe Freunde, meine Damen und Herren,
haben Sie Nachsicht mit meinem etwas ausuferndem Gefühlsausbruch.
Aber, wovon das Herz voll ist, davon geht der Mund über.
Ich deute das Thema unserer 44. Kunstausstellung „Sehen und Erinnern“ auch so, dass wir wachsam auf das sehen sollten, was sich in unserer Gesellschaft schleichend entwickelt an nationalistischer Verengung, an Vorurteilen und Ausgrenzungen, an Hass und Gewalt.Und wir sollten uns und andere daran erinnern, wozu so etwas einst geführt hat. Auch darum passen die Arbeiten von Thomas Went gut zu den An- und Absichten des ost-west-forum Gut Gödelitz.

Aber unsere neue Ausstellung hat auch mit Schönheit zu tun, wobei diese im Auge des Betrachters liegt und darum unterschiedlich empfunden wird. Wir werden uns also ebenso unterschiedlich über die Bilder von Thomas Went, schöne Landschaften, Blumen, Gebäude und Gesichter freuen können.

Meine Damen und Herren, liebe Freunde,
Thomas Went hat sich beim Fotografieren und bei der Fotobearbeitung am Computer viel Zeit genommen. Wir sollten uns zumindest für ausgesuchte Bilder Zeit dieser Ausstellung Zeit nehmen zum Sehen, zum Erinnern, zum Nachdenken, zum Freuen. Die Bilder unserer 44. Kunstausstellung sind auch Verweil- und Nachdenkbilder.

Ich wünsche Ihnen vor, zu und mit den Bildern unserer neuen Ausstellung Freude und Nachdenklichkeit.